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Die GEAS-Reform der EU

I. Was ist die GEAS-Reform?

Der Rat der Minister:innen der EU hat – angestoßen durch den New Pact on Asylum and Migration der EU-Kommission aus dem Jahr 2020 – einen Entwurf zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) eingebracht, der nunmehr mit dem Europäischen Parlament und der Kommission im Trilog-Verfahren diskutiert werden soll. Die Reform zielt darauf ab, ein effizienteres und für die EU-Mitgliedstaaten gerechteres Verteilungs- und Bearbeitungsverfahren zu erreichen.

Zu diesem Zwecke soll insbesondere die bestehende Asylverfahrens-RL (https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2013:180:0060:0095:DE:PDF) durch eine Asylverfahrens-VO (https://www.statewatch.org/media/3875/eu-pact-council-asylum-procedure-regulation-8464-23.pdf) ersetzt werden.

II. Kernpunkte der Reform

1. Ausweitung von Grenzverfahren
Es soll eine verpflichtende vorläufige Prüfung eingeführt werden zur Feststellung der Erfolgsaussichten des Asylantrags. In Abhängigkeit davon, wie aussichts-reich ein Antrag ist, sollen die ankommenden Personen verschiedenen Prüfverfahren mit unterschiedlicher Kontrolldichte zugeordnet werden.
Personen, deren Antrag nach dieser Vorprüfung keinen hohen Erfolgsaussichten besitzt sollen in einem sog. Grenzverfahren behandelt werden, dh. dass sie bis zur individuellen Entscheidung über Asyl in Auffanglagern an der Grenze behandelt werden. Dies umfasst folgende Gruppen:

  • Staatsangehörige, deren durchschnittliche EU-weite Anerkennungsquote bei unter 20% liegt (zB Russland, Pakistan, Bangladesch; vgl. auch https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/AsylinZahlen/aktuelle-zahlen-april-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=6
  • Personen, die über einen sog. sicheren Drittstaat in die EU gelangt sind, denn deren Anträge können als unzulässig abgelehnt werden (vgl. Art. 33 II c), 38 Asylverfahrens-RL; Art. 36 Abs. 1a lit. b) i.V.m. 45 Asylverfahrens-VO-E)
  • Personen aus „sicheren Herkunftsstaaten“
  • Ausnahmen nach der deutschen Verhandlungsposition für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Familien

2. Absenkung der Anforderungen an die Einstufung als sicherer Drittstaat

Zudem ist eine Absenkung der Standards, um als sicherer Drittstaat eingestuft zu werden, beabsichtigt, wodurch die Anträge von deutlich mehr Personen als unzulässig abgelehnt werden können (Art. 45 ff Asylverfahrens-VO-E). Insbesondere soll es bereits genügen, wenn ein Teilgebiet eines Staates als sicher gilt. Als sichere Drittstaaten könnten beispielsweise die Türkei, Tunesien und Libyen angesehen werden.

3. Fiktion der Nicht-Einreise für alle Ankommenden

Die Schutzsuchenden gelten als nicht-eingereist. Einreisen dürfen die Personen erst, wenn im Rahmen einer Vorprüfung festgestellt worden ist, dass ihr Asylantrag hinreichend aussichtsreich ist. Bis dahin soll es den Schutzsuchenden verwehrt bleiben, in andere Mitgliedstaaten weiterzureisen und sie können zu diesem Zwecke festgesetzt werden.

4. Verteilungsmechanismus und Sekundärmigration

Es soll ein „Solidaritätsmechanismus“ eingeführt werden, nach dem die Mitgliedstaaten entweder Geflüchtete aufnehmen oder finanzielle Beiträge leisten bzw. Personal entsenden müssen.
Darüber hinaus soll Sekundärmigration innerhalb der EU, also die Weiterwanderung in ein andere EU-Land, und die damit verbundene mehrfache Asylantragstellung verhindert werden.

III. Problemanalyse

Durch die Ausweitung des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ erfolgt keine inhaltliche Prüfung des Asylantrags, sondern lediglich eine formale Vorprüfung, bei der individuelle Schicksale und Fluchtgründe naturgemäß keine hinreichende Berücksichtigung finden werden. Sie führt zur pauschalen Ablehnung als unzulässig, ohne Prüfung in der Sache, ob im Einzelfall tatsächlich Schutzbedarf besteht. Es besteht einerseits in der Folge ein Anreiz für Geflüchtete, möglichst wenige Angaben zu ihrer Flucht zu machen, um den Grenzverfahren zu entgehen. Andererseits droht die Gefahr der Kettenabschiebung aus einem „sicheren Drittstaat“ in einen weiteren Staat, in dem die Person wiederum unmenschlicher Behandlung oder Verfolgung ausgesetzt ist

Die personelle und sachliche Infrastruktur in den Grenzregionen ist bereits jetzt vollkommen unzureichend, um eine genaue Prüfung der individuellen Schutzfähigkeit sicherzustellen. In den Auffanglagern ist zudem der Zugang zu Beratungsangeboten und Rechtsschutz erheblich erschwert. Dadurch wird falschen Entscheidungen über die Schutzfähigkeit von Personen Vorschub geleistet. Es ist eine deutlich niedrigere Anerkennungsquote als bei normalen Verfahren zu erwarten (in Deutschland liegt die bereinigte Schutzquote bei 72 %). Die Ausweitung der Grenzverfahren führt erwartbar nicht zur Ent-, sondern zur Überlastung der bestehenden Infrastruktur zur Asylverfahrensbearbeitung.

In den Grenzverfahren drohen haftähnliche und regelmäßig menschenrechtswidrige Zustände, denn zur Verhinderung von Sekundärmigration sowie zur Durchführung der Abschiebeverfahren sind de facto freiheitsentziehende Maßnahmen notwendig und kommen bereits jetzt an den Außengrenzen zum Einsatz. Es drohen weitere „Hotspots“ zu entstehen, in denen eine menschenwürdige Unterbringung nicht sichergestellt werden kann. Dies sind gerade nicht die angemessenen Rahmenbedingungen, um über die eigene Fluchtgeschichte aufzuklären.

Durch die Fiktion der Nicht-Einreise wird den Asylsuchenden der Zugang zum europäischen Rechtsschutz verwehrt, sodass bei Ablehnung des Asylantrags als unzulässig dagegen nur eingeschränkter Rechtsschutz besteht.

IV. Fazit

Anders als von den Mitgliedstaaten proklamiert, bleibt der Paradigmenwechsel im Falle der Umsetzung des Reformvorschlags nicht nur aus, das Gegenteil ist der Fall: Die Situation (vieler) Geflüchteter wird sich voraussichtlich weiter verschlechtern. Mit einer ordnungsgemäßen und bedürfnisgerechten Bearbeitung ihrer Asylanträge ist im Rahmen der Grenzverfahren nicht zu rechnen. Vielmehr werden Menschen massenweise in Auffanglagern eingesperrt, die sich nichts anderes haben zu Schulde kommen lassen, als in einem anderen Land Schutz zu ersuchen.

Zugleich wird die Belastungsgrenze der ohnehin bereits ächzenden Infrastruktur an den EU-Außengrenzen weiter ausgereizt und den Staaten des Ersteintritts (Spanien, Italien, Griechenland) noch mehr abverlangt, ohne dass der geplante „Solidaritätsmechanismus“ zu einer tatsächlich gerechteren Verteilung der Asylverfahren führen wird. Dass die Bearbeitung von Asylanträgen durch ein Mehr an Bürokratie und Verfahren beschleunigt wird, ist und bleibt Wunschdenken.

Zwar würde durch die Reform nicht das Asyl- bzw. Flüchtlingsrecht als solches abgeschafft, der Zugang dazu würde aber derart erschwert, dass es faktisch von vielen nicht mehr in Anspruch genommen werden kann. Sie perpetuiert einen Zustand der Abschottung, der das Flüchtlingsrecht als ein „Recht, Rechte zu haben“ (Hannah Arendt) entscheidend schwächt.